Anforderungen an Kunststoffe im Pharma-Anlagenbau
Seminarempfehlung
10./11. Dezember 2024
Im Pharma-Anlagenbau wird vorwiegend Edelstahl eingesetzt. Die Variante 316L wird quasi als Standard betrachtet, Material-Inkompatibilitäten des Stahls gegenüber dem Produkt spielen so gut wie keine Rolle. Anders ist dies bei Kunststoffen. Neben dem Leach-Out, der Alterung und der Oberflächengüte werden häufig weitere Qualitätsmerkmale spezifiziert. Doch gibt es allgemein gültige Anforderungen an Kunststoffe im Pharma-Anlagenbau?
Eine einfache Antwort auf diese Frage gibt es leider nicht. Die gültigen GMP Regelwerke enthalten bekanntermaßen wenige technische Details und sparen das Thema Kunststoffe teilweise sogar aus. Eine Art "Gold-Standard" für die Pharma-Industrie gibt es ebenfalls nicht. Die Anforderungen hängen stets vom konkreten Einsatzzweck ab.
Zum Einsatz kommen drei Typen von Kunststoffen: Weich-Plastik (z.B. Folie), Hartplastik (z.B. Ventilkörper) und Elastomere (z.B. Membranen für Membranventile oder O-Ringe). Die wesentlichen Qualitätsmerkmale sind Oberflächengüte und Materialkompatibilität.
1. Oberflächengüte
Eine wesentliche GMP-Anforderung an Anlagen, die für die Herstellung von pharmazeutischen Produkten eingesetzt werden, ist, dass diese gut zu reinigen sind. Daher wird die Glattheit der produktberührten Oberflächen gefordert. Beim Edelstahl ist der Oberflächenrauhigkeitswert von Ra ≤ 0,8 µm üblich. Dieser wird dann im Rahmen der Qualifizierung in Teilen der Anlage nachgemessen oder über Zertifikate vom Anlagen-Hersteller belegt. Die Oberflächenbestimmung von Kunststoffen gestaltet sich schwieriger. Mit mechanischen Abtastern besteht die Gefahr, die Kunststoffoberfläche zu zerkratzen.
Bei der Angabe von Mittenrauwerten für Kunststoffteile nutzen die Hersteller oft statistische Verfahren, d.h. einige Teile werden gemessen (und dann evtl. weggeworfen), oder es können evtl. auch berührungsfreie Messverfahren eingesetzt werden (z.B. Weißlichtabtastung).
Bei thermoplastischen Kunststoffen, die mittels Spritzguss hergestellt werden und bei denen die Hersteller hochglanzpolierte Spritzformen verwenden, ist die hohe Oberflächengüte i.d.R. durch das Herstellverfahren gesichert. Hier werden Oberflächenrauigkeiten erzielt, die deutlich besser sind als die Ra ≤ 0,8 µm bei Edelstählen. Dies wird auch in Material-Zertifikaten bestätigt, was als ausreichend betrachtet wird, insofern der Lieferant durch die Qualitätsabteilung des Pharma-Herstellers qualifiziert ist. Passende ISO-Normen für die Rauhigkeitsmessung von Edelstählen sind die DIN ISO 4287 und 4288.
Mit der Oberfläche von Kunststoffbauteilen befasst sich das Regelwerk SEMI F57 in der Halbleiterindustrie (für Reinstmedientechnik). Dort wird für den Nachweise der Oberflächengüte u.a. die SEMASPEC 92010950B verwendet (Vorläufige Prüfmethode zur Sichtbewertung der Oberflächenrauheit für Kunststoffoberflächen von UltraPurewater-Verteilungssystembauteilen). Eine vergleichbare Spezifikation innerhalb der Pharmawelt gibt es nicht.
Bei span-abhebend hergestellten Kunststoffteilen ist es meist nur mit besonderen Zusatzmaßnahmen möglich, Oberflächenwerte von Ra <1 µm zu erzielen, d.h. es spielt eine wesentliche Rolle, ob ein Bauteil per Spritzguss oder per Fräsen gefertigt wurde.
2. Materialkompatibilität
Sehr viel schwieriger ist es, eine Aussage zur Materialkompatibilität zu treffen. Die grundlegende GMP-Anforderung ist, dass das Material der Anlage die Qualität des Pharma-Produkts nicht negativ beeinflussen darf. Oftmals wird hierzu als Nachweis eine Bescheinigung der Lebensmitteltauglichkeit genutzt - d.h., dass der Werkstoff bei Verzehr kleiner Mengen nicht giftig ist. Hierzu dienen Zertifikate mit folgendem Bezug:
- US Federal Standard CFR 21.177
- die Positiv-Liste des Bundesinstitut für Risikobewertung "Empfehlungen zu Materialien für den Lebensmittelkontakt" (ehemals "Kunststoff-Empfehlungen; gesundheitliche Unbedenklichkeit Lebensmittel-, Bedarfsgegenstände- und Futtermittelgesetzbuches" (LFGB))
- EC1935/2004 (Materials and articles intended to come into contact with food)
- EC2023/2006 (Good manufacturing practice for materials and articles intended to come into contact with food).
Es kann aber auch sinnvoll sein, die Einhaltung weiterer Vorgaben zu spezifizieren:
- 3A Sanitary Standard
- EHEDG (European Hygienic Engineering & Design Group)
- DIN 26055 - Schlauchleitungen für den Einsatz in der pharmazeutischen und biotechnischen Industrie
- DIN ISO 3601-3 Form- und Oberflächenabweichungen von O-Ringen (für Pharma "Sortenmerkmal S" beachten)
Auch die USP, das amerikanische Arzneibuch, macht Aussagen zur Pharma-Eignung von Kunststoffen und unterteilt diese in sechs Biokompatibilitäts-Klassen (USP <88> Class I-VI). USP Class VI stellt dabei die strengste Klasse dar. Damit ein Material eine Klasse VI Einstufung erhält, sind Tests vorgegeben, die in der Regel in externen Prüflaboren durchgeführt werden müssen. Hierzu wird in Tierversuchen die Toxizität bestimmt, indem Kunststoffextrakte systemisch und intrakutan appliziert werden und die Reaktion beobachtet wird. Zusätzlich wird noch ein Implantationstest durchgeführt.
Diese Anforderung wird häufig aber unnötigerweise spezifiziert. Diese Anforderung wird häufig aber unnötigerweise spezifiziert, die die vielen Tierversuche und hohen Kosten nicht rechtfertigen. Darauf hat die USP nun reagiert. Mit den neuen Vorschlägen zu biologischen in vivo Tests sollen redundante Tests vermieden und Tierversuche durch mehr cytotoxische und genotoxische in vitro Tests ersetzt werden (Revisionsvorschläge von USP <88> und <87> wurden am 1. Juli 2021 in der USP Pharmacopeial Forum veröffentlicht).
In der biotechnologischen Produktion ist es außerdem auch sinnvoll, die "ADI-Freiheit" zu spezifizieren (ADI free = raw materials contain no Animal Derived Ingredients). Das bedeutet, dass im Anlagenbau kein Material tierischen Ursprungs verwendet wurde. Solche Materialen sind entsprechend auch BSE und TSE frei (BSE = Bovine Spongiform Encephalopathy; TSE = Transmissible Spongiform Encephalopathy).
Eine weitere GMP-Forderung bzgl. Materialkompatibilität ist, dass der Kunststoff nicht mit dem pharmazeutischen Produkt reagiert und auch nicht adsorbiert wird. Hier ist das Wissen des Pharma-Herstellers erforderlich, denn nur er weiß, welchen Stoffen ein Anlagenmaterial ausgesetzt sein wird.
Hier ist auch das Leach-Out von Kunststoffmaterialien zu nennen, d.h. die Betrachtung, welche Stoffe aus dem Kunststoff in das pharmazeutische Produkt übergehen könnten. Hierzu machen die Anlagenhersteller Studien, in denen in einer Art worst-case Betrachtung mittels Modell-Lösungen geprüft wird, welche Stoffe überhaupt aus dem Kunststoff extrahiert werden können (Bestimmung der Extracables). In Leachables-Studien wird in Zusammenarbeit mit dem Pharma-Hersteller mit dem pharmazeutischen Produkt geprüft, welche Stoffe unter realen Bedingen tatsächlich austreten. Das Ergebnis der Studien muss im Anschluss unter Beachtung von Prozess, Produkt, Anwendung etc. toxikologisch bewertet werden. Ob Leachables-/Extracables-Studien erforderlich sind, bestimmt der Pharma-Anwender mittels Risikoanalysen selbst. Im Falle von Single-Use Systemen, also Equipment aus Kunststoff, das nach einmaligem Gebrauch entsorgt wird und in dem ganze Prozesse wie Fermentation oder Chromatografie stattfinden, ist dies die Regel. Hier sollte man im ersten Schritt an den Hersteller der Single-Use Ausrüstung heran treten und besprechen, welche Informationen bereits vorliegen und wie gemeinsam eine Leachables-Studie durchgeführt werden könnte.
Nach den gültigen GMP-Vorgaben (z.B. EU GMP Annex 15) ist in der Qualifizierung eine Verifizierung der Konstruktionsmaterialien durchzuführen. Hintergrund ist die Sicherstellung, dass die Anlage aus den Materialien gebaut wurde, die vom Pharma-Hersteller gefordert worden sind. Da nicht jeder Pharma-Hersteller über die nötigen Mittel zur Material-Prüfung bzw. Identifizierung verfügt, kommen hier die Material-Zertifikate ins Spiel.
Für Edelstahlkomponenten werden in der Regel 3.1 Zertifikate (nach EN 10204) gefordert. Hierbei ist eine Rückführbarkeit des Zertifikats auf jedes Bauteil gewährleistet. Bei Kunststoff-Bauteilen werden in der Regel 2.1 Zeugnisse akzeptiert. Bei diesen Zeugnissen bestätigt der Anlagen-Hersteller selbst die Übereinstimmung mit den Anforderungen. Eine hundertprozentige Sicherheit ist damit nicht gegeben. Andererseits ist die genannte Norm auch für Metall-Erzeugnisse gedacht und weniger für Kunststoffe.