GMP und kritische computergestützte Systeme

Bei GMP-Inspektionen sollten sich die Inspektoren und Inspektorinnen zunächst mit den GMP-kritischen Systemen befassen. Entsprechend AIM der EFG 11 (Aide-Mémoire der EFG 11 - Überwachung computergestützter Systeme) sollen kritische Systeme vorrangig berücksichtigt werden. Das Problem ist allerdings die Identifizierung kritischer Systeme. Weder der EU-GMP-Leitfaden noch der Annex 11 oder Annex 15 geben hier Hinweise zur Identifizierung kritischer Systeme. Im EU-GMP Annex 11 findet man lediglich einen Hinweis auf kritische Systeme:
 
4.3 … Für kritische Systeme sollte eine aktuelle Systembeschreibung vorliegen, welche die technische und logische Anordnung, den Datenfluss sowie Schnittstellen zu anderen Systemen oder Prozessen, sämtliche Hard- und Softwarevoraussetzungen und die Sicherheitsmaßnahmen detailliert wiedergibt.

Daraus ergibt sich zwangsläufig auch, dass der Betrieb ein System benötigt, um bei computergestützten Systemen die Kritikalität zu ermitteln, d. h. er erstellt hierzu eine entsprechende SOP.

Betrachtet man einmal die Systemlandschaft in einem GMP-Betrieb, fällt es schwer, eine Bewertung der Kritikalität der Systeme zu beschreiben. Hier einige Beispiele:

  • ERP/MES
  • Lagerverwaltungssysteme
  • Produktionssysteme (Automatisierungstechnik)
  • Wiegesysteme
  • Schulungsmanagement
  • Kalibrierungs- und Wartungsmanagement
  • Verpackungslinie und Etikettierung
  • Systeme in der Qualitätskontrolle (z. B. LIMS, HPLC, IR, …)
  • Systeme in der Qualitätssicherung (z. B. SOP-Verwaltung, Abweichungsmanagement)
  • Archivierungs- und Backup-Systeme
  • WFI-Anlage
  • Mischer, Homogenisatoren
  • Kalibrierungssoftware für Pipetten
  • Dampfsterilisator
  • und vieles mehr

Welche dieser Systeme sind unkritisch? Gibt es überhaupt unkritische GMP-relevante Systeme? Oder sollte man vielleicht Kritikalität unterschiedlich bewerten (wenig, mittel, hoch)?

Einen wichtigen Hinweis finden wir in der AMWHV (Arzneimittel- und Wirkstoffherstellungsverordnung) im § 2 Begriffsbestimmungen.

Im Sinne dieser Verordnung - 19. sind kritische Ausrüstungsgegenstände oder Geräte solche, die mit den Produkten in Berührung kommen oder einen anderen Einfluss auf die Qualität oder Sicherheit der Produkte haben können.

Der erste Halbsatz ist ziemlich eindeutig. Bei "oder einen anderen Einfluss auf die Qualität oder Sicherheit der Produkte haben können" ist eine Risikobewertung hilfreich. PIC/S PI 041 hilft hier ebenfalls weiter und nennt einige Beispiele:

  • Systems used to control the purchasing and status of products and materials
  • Systems for the control and data acquisition for critical manufacturing processes
  • Systems that generate, store or process data that is used to determine batch quality
  • Systems that generate data that is included in the batch processing or packaging records
  • and systems used in the decision process for the release of products.

Auch das AIM der EFG 11 hilft uns hier weiter. Es gibt folgende kritische Systeme an:

  • Systeme, die Produktionsprozesse auf der Feldebene steuern (z. B. Reaktorsteuerung, Abfüllanlage, Mischer)
  • Systeme, die übergeordnete Prozesse steuern (PLS, MES)
  • Systeme, die im näheren Produktionsumfeld (z. B. RLT-Anlagen, CIP-/SIP-Prozesse, Anlagen zur Produktion und Verteilung von WFI oder Aqua purificata)
  • Systeme im Bereich der IPC und Qualitätskontrolle (Multifunktionstester, HPLC-Systeme, CDS, LIMS, ELN)

Mit Hilfe dieser Hinweise haben wir schon etliches an Hilfestellung zur Identifizierung kritischer Systeme erhalten.

Weitere interessante Informationen findet der Inspektor/in im Aide Memoire INSPECTION OF DATA MANAGEMENT AND INTEGRITY (PIC/S PI 049-1). Das Dokument stellt praktisch eine Umsetzung des PI 041-1 in Frageform vor, ohne jedoch dessen Detaillierungsgrad zu erreichen. Leider ist dieses Dokument nicht öffentlich, so dass direkte Auszüge nicht zur Verfügung stehen. Folgende Hinweise können aber dennoch gemacht werden.

Das Dokument enthält einen Anhang, in dem man Hinweise zur Ermittlung des Risikos (Kritikalität) von Systemen findet. Über ein Flow Chart versucht man Systeme in vier Risikoklassen einzuteilen.

  • Klasse 4 sind nicht GMP-relevante Systeme
  • Klasse 3 sind Systeme mit geringer Priorität
  • Klasse 2 sind Systeme mit mittlerer Priorität. Sie haben indirekten Einfluss auf die Produktqualität und Patientensicherheit
  • Klasse 1 sind Systeme mit hoher Priorität. Sie haben direkten Einfluss auf die Produktqualität und Patientensicherheit

Hier liegt auch nach Auffassung des Autors ein Denkfehler. Indirekter Einfluss bedeutet nicht zwangsläufig auch ein geringeres Risiko. Sowohl direkter als auch indirekter Einfluss kann die Qualität oder Patientensicherheit beeinflussen. Entscheidend ist immer der "Intended Use". Dies ergibt sich auch aus dem zweiten Halbsatz des § 2 AMWHV bei den Begriffsbestimmungen (oder einen anderen Einfluss auf die Qualität oder Sicherheit der Produkte haben können).

Einen wichtigen Punkt kann man jedoch dem Flow Chart aus dem PIC/S PI 049-1 entnehmen, dass es keine GMP-Systeme gibt, die unkritisch sind.

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