ISPE Guide gibt Hilfestellung zur modernen Qualifizierung

In der neuen FDA Process Validation Guidance finden sich in Fußnoten auch Hinweise auf Dokumente der ASTM (ehemals American Society of Testing and Materials), einer Standardisierungsorganisation in den USA. Als Weiterentwicklung eines "White Papers" der International Society of Engineering (ISPE) zur risikobasierten Qualifizierung will insbesondere der ASTM Guide E2500-07 (Specification, Design, and Verification of Pharmaceutical and Biopharmaceutical Manufacturing Systems and Equipment ) einen modernen Ansatz bzgl. Qualifizierung anbieten (siehe GMP-News vom 17. Dezember 2007). So erwähnt er nicht mehr die klassischen Qualifizierungsstufen DQ, IQ, OQ, PQ und setzt auf Subject Matter Experts (SMEs), um die Organisation der "Verification" durchführen zu können. Einen hohen Stellenwert hat ferner die Gute Ingenieurspraxis (Good Engineering Practice, GEP).

Das Dokument ist allerdings relativ kurz und wenig konkret.

Hier hilft ein aktueller Guide der ISPE weiter. Das Dokument nennt sich "Science and Risk-Based Approach for the Delivery of Facilities, Systems, and Equipment" und stammt aus dem Jahr 2011. Die Idee des Guides ist es, der Industrie Hilfestellung zu geben, wie ein wissenschafts- und risikobasierter Ansatz bezüglich Räumlichkeiten, Systemen, Ausrüstung und der dazugehörenden Automatisation aussehen kann, damit diese für ihren Einsatz geeignet sind ("fit for intended use"). Tätigkeiten, die bisher unter dem Begriff Qualifizierung liefen.

Das Dokument ist mit 116 Seiten sehr umfangreich, liest sich aber relativ flüssig. Gegliedert ist es in folgende Kapitel:

1 Einführung
2 Übersicht über den Lebenszyklus
3 Anforderungen
4 Spezifikationen und Design
5 Verifizierung, Akzeptanz und Freigabe
6 Kontinuierliche Verbesserung
7 Qualitätsrisikomanagement
8 Gute Ingenieurspraxis
9 Design Review
10 Änderungs-Management
11 - 17  Appendices

Als Schlüsselkonzepte werden in der Einführung genannt:

  • wissenschaftsbasiertes Qualitätsrisikomanagement
  • Produkt- und Prozessverständnis
  • flexible Ansätze bzgl. Spezifikationen und Verifizierungen
  • Fokus auf das Erreichen von "fitness for intended use"
  • Klarstellen von Rollen und Verantwortlichkeiten (der Quality Unit und des SMEs)
  • Einbindung von Lieferanten-Aktivitäten

In einer Tabelle werden die erwarteten Vorteile bei Anwendung der o.g. Punkte aufgeführt. Zusammengefasst soll durch die Anwendung eine bessere Definition der kritischen Aspekte, verbesserte Design-Aspekte, eine Kostenreduzierung bei Tests, eine bessere Ressourcen-Ausnutzung und die Vermeidung wiederholender Spezifikationen und Verifizierungsaktivitäten, möglich sein.

Im Kapitel "Lebenszyklus findet sich wiederum eine interessante Tabelle, die die Rollen und entsprechenden Kenntnisse/Tätigkeiten ("Subject Matter Expertise") der beteiligten Personen beschreibt. Das betrifft Engineering, die "Quality Unit", Prozesswissenschaftler, Herstellungspersonal und die Automation. Besonders interessant ist die Rolle der "Quality Unit", die insbesondere mit "Review"-Tätigkeiten und der Freigabe von (meist übergeordneten) Dokumenten betraut werden soll.

Im Kapitel "Anforderungen" findet sich exemplarisch eine Auflistung von Anforderungen an Gerätschaften im Hinblick auf Produkt- und Prozess-Anforderungen. Sehr gut ist der Tipp spezifische Namensgebungen ("specific naming convention") zu verwenden, um mehrfache generische Nutzungsanforderungen zu vermeiden.

Breiten Raum nehmen die Spezifikationen und das Design ein. Hier spielt das Thema "Quality by Design" mit in das Kapitel hinein. In diesem Kapitel spielt auch der Einkauf eine Rolle.

Das Kapitel Verifizierung (Akzeptanz und Freigabe) beschreibt den risikobasierten Verifizierungs-Prozess. Wobei die Verifizierung auf einem Plan basiert und Tests zur Installation, zum Betrieb und zur Leistungsfähigkeit umfasst. Wichtig ist auch die konsequente Anwendung von GEP. Inhalte eines Verifizierungsplanes werden genannt. Hierzu fällt auf, dass auch Tests zu  nicht-kritischen Aspekten, die GEP-relevant sind, Bestandteil sein können. Wobei für diese Tests dann die "Quality Unit" nicht im selben Maße beteiligt sein könnte, wie bei den anderen Tests. Auch in diesem Kapitel ist wieder eine Tabelle mit Funktionen, Rollen und Verantwortlichkeiten der SMEs und der "Quality Unit" aufgeführt. Im Rahmen der Verifizierungen werden auch Werksabnahmen ("Factory Acceptance Tests") und Inbetriebnahmen ("Site Acceptance Tests") eingebunden. Systeme mit kritischen Aspekten sollen in einem zusammenfassenden Bericht "gereviewt" werden, unter Beteiligung der "Quality Unit".

Recht kurz ist mit 1,5 Seiten das Kapitel kontinuierliche Verbesserung gehalten.

Deutlich umfangreicher ist mit 8,5 Seiten das Kapitel Qualitäts-Risikomanagement. Entlang des ICH Q9-Risikomanagement-Prozesses werden einfache Beispiele und exemplarische Auflistungen als Praxis-Hilfestellungen gegeben. Als geeigneter Zeitpunkt für ein "Risk-Review" wird z. B. das periodische Review von Gerätschaften empfohlen.

Ein eigenes Kapitel widmet sich der Guten Ingenieurspraxis. Auch hier findet sich eine sehr schöne exemplarische Auflistung von Projekt-spezifischen GEP-Vorgängen, die ggf. in Betracht kommen.

Die Wichtigkeit des Themas "Quality by Design" zeigt sich nochmals in einem zweiten Design-Kapitel. In diesem Fall geht es um das "Design Review". Beschrieben wird hier der Design Review-Prozess mit dem Ziel eines "Design Review Outcome". Das erfolgt in einem iterativen Prozess in dem Risiko-Reduktionen gegenüber Design-Entscheidungen gesetzt werden.

In Kapitel 10 wird ein Change Management im Zusammenhang mit Lebenszyklus der Gerätschaften beschrieben. Auch hier finden sich wieder exemplarische Beispiele z. B. zur Einleitung, Implementierung, Bestätigung und zum Abschluss eines Changes.

Sehr interessant sind die 7 Appendices. Wobei Appendix 1 sehr komprimiert Methoden zur Risikoanalyse vorstellt. In Appendix 2 wird das "Impact Assessment" beschrieben. Appendix 3 gibt Hinweise zum "Commissioning". Auch hier verdeutlicht eine Tabelle den "Field Commissioning Process" (Schritte, Aktivitäten, Ergebnisse, übliche Bezeichnung der Schritte und ISPE-Bezeichnungen). Besonders interessant ist Appendix 4 zu Qualifizierungsansätzen. Vermied der Guide bisher den Begriff Qualifizierung, wird hier gezielt auf DQ, IQ, OQ und PQ eingegangen. Es wird ausdrücklich erwähnt, dass der Guide internationale Regularien abdeckt und das Ziel hat, Räumlichkeiten, Systemen, Ausrüstung und die dazugehörenden Automatisation zu einem geeigneten Einsatz zu führen ("fit for intended use"). Das ist auch das Ziel einer klassischen Qualifizierung. Der Guide möchte allerdings Qualifizierungs-Aktivitäten, die keine wirkliche Qualitätsrelevanz haben (non-value-added qualification activities) eliminieren. Die Prinzipien des Guides umfassen dennoch nach wie vor die klassischen Qualifizierungsstufen. Ferner werden dann Parallelen zu den klassischen Qualifizierungsstufen genannt. So könnte man die von der "Quality Unit" freigegebene Dokumentation zur finalen Risikoanalyse, zu den kritischen Aspekten und die damit verbundenen Akzeptanzkriterien zur Verifizierung unter DQ subsummieren. Die von der "Quality Unit" freigegebene Liste kritischer Aspekte und die Installations- und Funktions-Akzeptanzkriterien, die in der finalen Risikoanalyse/Design Review dokumentiert sind, sieht der Guide vergleichbar zu IQ/OQ-Akzeptanzkriterien an. Die Abarbeitung könnte dann auch unter GEP durch SMEs erfolgen, so der Guide. Die Prozess-Anforderungen in Bezug auf die Geräte- oder System-Leistungsfähigkeit kann auch als PQ geführt werden. Appendix 5 gibt einen Überblick über die regulatorische Basis und deren Hintergründe. Auch hier gibt es noch einmal einen Abschnitt zum Thema Qualifizierung. Explizit wird darauf hingewiesen, dass, obwohl der Guide IQ- oder OQ-Schritte nicht mehr zwingend vorschreibt, Firmen weiterhin den Begriff Qualifizierung nutzen können. Ausdrücklich wird nochmals darauf hingewiesen, dass nicht notwendigerweise gesonderte DQ-, IQ-, OQ-Pläne erstellt werden müssen. Der Begriff "documented verification", der mit den Qualifizierungsstufen verbunden ist, wird durch die im Guide beschriebenen Vorgehensweisen ebenfalls erfüllt. Appendix 6 gibt Literaturreferenzen an und Appendix 7 ist ein Glossar.

Fazit: Bisher hat der ASTM Standard E 2500-07 relativ wenig Relevanz in Europa. Das Dokument ist sehr kurz und wenig konkret. Der ISPE Guide beschreibt nun, wie die in ASTM E2500  beschriebenen Prinzipien - wissenschafts- und risikobasiert - bezüglich Räumlichkeiten, Systemen, Ausrüstung und der dazugehörenden Automatisation umgesetzt werden könnten, damit diese für ihren Einsatz geeignet sind ("fit for intended use"). Er löst auch die Diskrepanzen zur "fehlenden" Qualifizierung im ASTM E2500-07 auf. Vielleicht trägt dieser ISPE-Guide zur weiteren Beschäftigung mit ASTM E2500-07 insbesondere auch in Europa bei. Schließlich hat er mit seinem Verifizierungsmodell schon Einzug in GAMP 5 gehalten.

Leider ist der Guide kostenpflichtig. Sie können den Guide hier bestellen.

Sven Pommeranz
CONCEPT HEIDELBERG

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