Neue Fragen und Antworten der EMA zu Titandioxid in Arzneimitteln

Am 1. Juli 2022 veröffentlichte die EMA neue Fragen und Antworten zu Titandioxid und dessen Austausch bzw. Entfernung in Arzneimitteln. Diese insgesamt fünf Fragen/Antworten erschienen unter der Rubrik "Quality of medicines questions and answers: Part 2" auf der Webseite der EMA und dienen Zulassungsinhabern und Antragstellern als Anleitung ("Technical and procedural guidance"), Titandioxid in Arzneimitteln gegen andere Hilfsstoffe zu ersetzen oder gänzlich zu entfernen. Nach Ausarbeitung der Frage-Antwort Dokuments durch die Quality Working Party (QWP) der EMA wurde dieses Anfang Mai mit der pharmazeutische Industrie diskutiert und von ihr kommentiert. Nach Konsultation der CMDh erfolgte die Publikation auf der EMA-Webseite.

Die CMDh unterstützt diese Leitlinie und legt den Zulassungsinhabern nahe, die darin enthaltenen Empfehlungen bei der Entwicklung der pharmazeutischen Produkte zu berücksichtigen.

Hintergrund

Titandioxid (E 171) als Lebensmittelzusatzstoff findet breite Verwendung in der Lebensmittelindustrie sowie der pharmazeutischen Industrie als Farbstoff, Trübungsmittel oder als Schutz gegen UV-Strahlung. Der Einsatz von Lebensmittelzusatzstoffen wird geregelt durch die Verordnung (EG) Nr. 1333/2008. Die Verwendung solcher Substanzen als Farbstoffe in Human- und Tierarzneimitteln wird gemäß der Richtlinie 2009/35/EG beschränkt auf diejenige, die nach der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 als Lebensmittelzusatzstoffe zugelassen sind. Artikel 32, Absatz 1 dieser Verordnung sieht vor, dass für Lebensmittelzusatzstoffe, die vor dem 20. Januar 2009 zugelassen wurden, eine neue Risikobewertung durchgeführt werden muss. Diese Anforderung galt daher auch für Titandioxid als meist verwendeter Farbstoff in pharmazeutischen Produkten.

Am 6. Mai 2021 veröffentlichte die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) ein wissenschaftliches Gutachten zur Sicherheitsbewertung von Titandioxid als Lebensmittelzusatzstoff. In diesem Gutachten kommt die Behörde zu dem Schluss, dass für Titandioxid ein genotoxisches Potential nicht ausgeschlossen werden kann. Auf Veranlassung der EU-Kommission legte die EMA am 8. September 2021 eine wissenschaftliche Analyse zur Verwendung bzw. der Vermeidung von Titandioxid in Arzneimitteln vor. In diesem Gutachten empfiehlt die EMA, Titandioxid vorläufig in der Liste der zugelassenen Zusatzstoffe zu belassen, um Arzneimittelengpässe und eine dadurch verursachte Gefährdung der öffentlichen Gesundheit zu vermeiden. Eine solche kritische Situation würde dann entstehen, wenn der Austausch von Titandioxid durch alternative Zusatzstoffe, der umfangreiche und zeitintensive Prüfungen der Arzneimittel hinsichtlich Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit zur Folge hätte, sofort vollzogen werden müsste.

Am 18. Januar 2022 erschien im Amtsblatt der Europäischen Union die Verordnung (EU) 2022/63 der EU-Kommission zur Änderung der Anhänge II und III der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008. In Anhang II wurden Hinweise auf das Verbot von Titandioxid in bestimmten Lebensmittelkategorien sowie dessen Verbleib in der Liste der für die Verwendung in Arzneimitteln zugelassenen Stoffe ergänzt. Ferner ist in dieser Verordnung die Verpflichtung der EU-Kommission festgeschrieben, innerhalb von drei Jahren nach Inkrafttreten dieser Verordnung zu prüfen, ob die Zulassung von Titandioxid weiterhin bestehen bleiben sollte oder von der Liste der Verordnung (EG) Nr. 1333/2008 zu streichen ist. Diese Überprüfung soll auf der Grundlage einer aktualisierte Bewertung erfolgen, die die EMA bis spätestens 1. April 2024 durchführen muss.
Trotz der verläufigen Zulassung von Titandioxid im Pharmasektor ist die pharmazeutische Industrie aufgefordert, nach Alternativen für Titandioxid zu suchen und ihren Einsatz zu prüfen. Die aus fünf Fragen und Antworten bestehende Anleitung "Replacement/removal of titanium dioxide (TiO2) in medicines. Technical and procedural guidance" soll Zulassungsinhabern bzw. Antragstellern dazu eine Hilfestellung bieten.

Nachfolgend eine Zusammenfassung der Antworten auf die Fragen.

1. What does Commission Regulation (EU) 2022/63 on TiO2 mean for pharmaceutical companies companies developing and/or maintaining an authorisation of medicines for human and veterinary use?

Der Antworttext auf diese Frage enthält (wie bereits oben in Abschnitt "Hintergrund" beschriebenen) eine kurze chronologische Zusammenfassung der Vorgänge, die zu dem Verbot von Titandioxid in Lebensmitteln geführt haben und schließt mit dem Appell an die Pharmaindustrie, alle Anstrengungen für eine beschleunigte Forschung und Entwicklung hinsichtlich des Ersatzes von Titandioxid in neu zu entwickelnden sowie in bereits zugelassenen Arzneimitteln zu unternehmen.

2. What should I do if I am an applicant of a new MAA that contains TiO2?

Für den Fall, dass sich das Arzneimittel in der Entwicklungsphase befindet bzw. der Zulassungsantrag kurz vor der Einreichung steht, muss Titandioxid nicht ausgetauscht werden. Falls sich der Antragsteller jedoch für einen Austausch oder ein Entfernen von Titandioxid entschließt, sollte dies vor der Einreichung oder, direkt nach Zulassung des Produkts, in Form eines Änderungsantrags (Variation) erfolgen, jedoch nicht während eines laufenden Zulassungsverfahrens. Der Austausch von Titandioxid oder auch seine Entfernung hat die Entwicklung einer neuen Produkt-Formulierung zur Folge, für die die Vorgaben der Note for Guidance on development pharmaceutics (CPMP/QWP/155/96) bzw. der Note for Guidance on Development pharmaceutics for vetenary medicinal products (EMEA/CVPM/315/98) zu beachten sind. Wird ein neuartiger Zusatzstoff verwendet, sind die kompletten Informationen zu seiner Herstellung, Charakterisierung und Daten zu seiner Sicherheit einzureichen.

3. What should I do if I am an MAH of a MA containing TiO2?

Die Antwort auf diese Frage verweist auf die Erläuterungen zu den Fragen 2 und 4 und wiederholt nochmals den Appell nach intensiven Bemühungen, im Rahmen von Forschung und Entwicklung nach Alternativen zu Titandioxid zu suchen. Ein weiterer Appell in diesem Zusammenhang bezieht sich auf eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Herstellern.

4. What are the scientific data requirements to remove/replace TiO2?

Es werden zwei Fälle unterschieden:

  • Titandioxid dient nur der Verbesserung des Erscheinungsbilds des Produkts und kann aus der Formulierung entfernt werden.
    Hier genügt ein Vergleich des Freisetzungsprofils der neuen Produkt-Formulierung mit dem Profil des Produkts in der ursprünglichen Zusammensetzung. Ferner sind Stabilitätsstudien gemäß den ICH bzw. VICH-Leitlinien erforderlich.
  • Titandioxid wird gegen einen anderen Zusatzstoff ausgetauscht.
    In diesem Fall sind umfangreiche Daten vorzulegen, u.a.
    - Studien zur Verträglichkeit des neuen Zusatzstoffs mit dem Wirkstoff und anderen in der Formulierung vorhandenen Hilfsstoffen
    - Bioäquivalenzstudien
    - der Nachweis, dass der neue Zusatzstoff die in der Spezifikation festgelegte Prüfmethode für das Fertigarzneimittel nicht beeinflusst
    - bei lichtempfindlichen Arzneimitteln der Nachweis, dass aufgrund der fehlenden Lichtschutzwirkung von Titandioxid Vorkehrungen zum Erhalt der Qualität des Arzneimittels getroffen wurden (z.B. Wechsel des Primärpackmittels)
    - der Nachweis, dass die Unterscheidung verschiedener Stärken nicht beeinflusst wird und keine nachteiligen Geschmacksveränderungen auftreten

5. What are the regulatory pathways to support a change in excipient to remove/replace TiO2?

Die sehr detaillierte Antwort auf diese Frage wird getrennt für Human- und Veterinärarzneimittel formuliert. Zentrales Dokument (für Humanarzneimittel) ist die Verordnung (EG) Nr. 1234/2008 (Variations Guideline); die hier beschriebenen Änderungskategorien für einen Wechsel des Hilfsstoffs im Fertigarzneimittel sind zu beachten. Darüber hinaus können als Konsequenz des Hilfsstoff-Wechsels weitere Änderungen notwendig sein,  z.B.

  • im Ausmaß und der Form des Produkts
  • in der analytischen Prüfmethode des Fertigarzneimittels
  • in der Spezifikation des Fertigarzneimittels
  • im Herstellprozess und den Inprozess-Kontrollen
  • in den Packmitteln für das Fertigarzneimittel
  • in der Haltbarkeit und den Lagerbedingungen

Die Kategorisierung dieser Änderungen ist jeweils gemäß der Variations-Guideline vorzunehmen. Alle Änderungen sollten gemeinsam als grouped variation eingereicht werden. Es sollte geprüft werden, ob ein Work-sharing Verfahren und die Kooperation von Zulassungsinhabern und nationalen Zulassungsbehörden möglich ist.

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