Wird der Kostendruck zum Hauptgrund für GMP-Non-Compliance und Arzneimittelengpässe?

Ein Sommer mit vielen Inspektionen liegt hinter uns. Die Zahl der FDA Warning Letters und EU Non-Compliance Reports scheint momentan erheblich anzusteigen. Es ist besorgniserregend, dass die GMP-Non-Compliance Probleme offensichtlich deutlich gravierender sind als in den vergangenen Jahren. Aber was ist der Grund dafür?

Viele Abweichungen betreffen die Datenintegrität (Data Integrity). Hier müssen zwei verschiedene Bereiche betrachtet werden: Erstens, ungeeignete Computersysteme und deren Betrieb. Wie z.B. elektronische Aufzeichnungen, die nicht korrekt archiviert wurden und Daten, die gelöscht wurden (häufig "aus Versehen"). Der zweite Bereich ist der, der für die größte Unruhe sorgt: Das Personal in der Produktion und in der Qualitätskontrolle hat sehr geringe oder gar keine Kenntnisse über GMP-Anforderungen. Wenn man die vielen Beanstandungen im Datenintegritätsbereich prüft, findet man nahezu unglaubliche Abweichungen und sogar Datenfälschungen. Vieles lässt sich auf eine ganz grundlegende Abweichung zusammenfassen: es existiert keine Good Documentation Practice, also so einfache Grundsätze wie: Daten dürfen nicht gelöscht oder geändert werden sind nicht bekannt. Auch dass jeder Prozessschritt unverzüglich dokumentiert werden muss (und nicht erst am Ende des Tages), ist ein elementares GMP Prinzip. Das alles sind GMP-Grundlagen. In der Vergangenheit gab es Warning Letters, die  Details der Validierungsverfahren oder der analytischen Qualitätskontrollverfahren beanstandet haben. Aber jetzt sind die GMP-Non-Compliance Findings so simpel, dass jede Person, die eine Basisschulung in GMP erhalten hat, wissen sollte, wie man sie verhindert.

Parallel zu dem obengenannten "Trend of GMP-Non-Compliance" sehen wir einen anderen Trend, und zwar den, immer mehr Druck auf die Herstellungskosten auszuüben. Jedes Land muss mit den steigenden Kosten seines Gesundheitssystems kämpfen, was zu einem zunehmenden Druck auf die Arzneimittelpreise geführt hat. Um Kosten zu sparen, kommt auch die Herstellung zunehmend unter Druck. Als eine der ersten Maßnahmen wurde die Produktion von Wirkstoffen in Niedriglohnländer - insbesondere nach Asien - verlagert. Dann ging auch die Herstellung von Generika den gleichen Weg. Die verbliebenen Standorte in Europa und in den USA spüren zunehmend auch den Kostensenkungsdruck. In der Vergangenheit wurde ein Arzneimittel häufig in verschiedenen Ländern an verschiedenen Herstellungsstandorten gefertigt. Heute wird aus Kostengründen die Zahl der Standorte stark reduziert. Manchmal gibt es nur einen oder zwei Standorte und der Wirkstoff ist möglicherweise nur bei einer einzigen Quelle in Asien verfügbar. Sobald Inspektoren dort GMP-Probleme identifizieren, ist ein Arzneimittelengpass die Folge, da andere Produktstandorte nicht mehr ausreichend Kapazitäten haben, um einzuspringen. Das ist heute der Hauptgrund für Lieferengpässe bei Arzneimitteln in den USA und in der EU.

In Spanien haben vor kurzem Inspektoren einen Standort inspiziert, von dem erwartet wurde, dass er in Übereinstimmung mit den EU-GMP produziert. Das war aber allein schon deswegen nicht möglich, weil es einfach an Personal fehlte. Die Inspektoren der Alcor-Fabrik in Guadalajara fanden, dass die Firma über keine geeigneten Anlagen, Personal und Materialressourcen verfügt, um eine ordnungsgemäße GMP-Compliance sicherzustellen. Insgesamt wurden 29 Abweichungen identifiziert. Darunter wurden acht als schwerwiegend klassifiziert.

Außerdem war die Firma nicht in der Lage, die während der Inspektion erkannten Probleme zu lösen. Im Inspektionsbericht stand, dass die Firma einen Plan zur Mängelbehebung am 8. und 29. Juli 2016 vorgeschlagen hatte. Nach der Bewertung am 2. August 2016 kam das Inspektorat zu dem Schluss, dass es viele ausstehende Fragen gibt und dass die Alcor S.L. die EU-GMP-Anforderungen nicht erfüllt. Im Allgemeinen waren die vorgeschlagenen korrektiven Maßnahmen unzureichend und diffus und lieferten keine Beschreibung des Umfangs der Maßnahmen, um die Beseitigung der schwerwiegenden Abweichungen sicherzustellen. Insbesondere der Personalmangel konnte nicht beseitigt werden. Darüber hinaus stellt die Häufung von Aufgaben und Zuständigkeiten bei einigen Mitarbeitern ein Qualitätsrisiko dar. Die Durchführung der Aktivitäten zur EU-GMP-Compliance konnte daher nicht sichergestellt werden.

Ein sehr ähnliches Problem findet man in diversen Warning Letters, die von der FDA dieses Jahr ausgestellt wurden (viele Berichte finden sich auch hier im GMP Navigator unter der Rubrik News). Eine ganze Reihe von FDA Warning Letter bezogen sich auf elementare Mängel bei der Datenintegrität. Zusätzlich zu einem Mangel an geeignete IT-Systeme und IT-Verfahren (z.B. zur Archivierung elektronischer Daten) betreffen viele Probleme grundsätzlichen Good Documentation Practice Anforderungen. Die Firmen haben weder in ausreichend Personal investiert, noch für die entsprechende GMP Aus- und Weiterbildung gesorgt. Deswegen enthält eine Anzahl an Warning Letters eine Art Standardanforderung zur "Data Integrity Remediation". Die betroffenen Firmen müssen der FDA Nachweise erbringen um das grundsätzliche Problem der unzureichenden Ressourcen zu lösen, u.a. wird in vielen Warning Letters gefordert: 

"Langfristige Maßnahmen um Prozesse, Methoden, Kontrollen, Systeme, Management und den Personalbereich (z.B. Schulungen) zu verbessern sowie zur Sicherstellung der Integrität der Firmendaten."

Wenn man die zwei Trends zusammen betrachtet, dann ist es offensichtlich, dass der Druck auf die Produktionskosten zwangsläufig zu Maßnahmen führt, die die Anzahl der Standorte und die Ausgaben in Personal reduziert. Die vorhandenen Mitarbeiter sind häufig dann nicht mehr in der Lage, alle Aufgaben zu erledigen und ihre Weiterbildung in GMP leidet, um Kosten zu sparen. Einem guten Inspektor fällt das schnell auf. Ein Blick auf die Schulungsprotokolle und die offenen CAPA Maßnahmen reicht aus.

Wie kann ein möglicher Weg aus dieser Situation aussehen? Ein Szenario könnte die Auswertung von GMP-Findings in Bezug auf ihre Ursache sein. Eine Firma mit guter Compliance-Vorgeschichte sollte anders behandelt werden als eine Firma, die massiv gegen GMP-Grundsätze verstößt (z.B. keine ausreichende Kenntnisse in GMP-Grundlagen wie Good Documentation Practice). Eine Firma, die Daten fälscht oder Aufzeichnungen absichtlich (nicht aus Versehen) löscht, sollte erheblich stärkere Konsequenzen erfahren als eine Firma mit guter Compliance-Vorgeschichte und guter Qualitätskultur. Die von der FDA vorgeschlagenen Quality Metrics könnten ein wichtiges Tool werden, um diesen Unterschied festzustellen.

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